- Korea bis 668 n. Chr.: Staatenbildung im Land der Morgenstille
- Korea bis 668 n. Chr.: Staatenbildung im Land der MorgenstilleIn beiden Teilen Koreas — den heutigen Staaten Süd- und Nordkorea — wird der legendäre Tan'gun als Ahnherr des koreanischen Volkes gefeiert. Meist als bärtige Heldenfigur dargestellt, soll er aus der Verbindung des zur Erde herabgestiegenen Sohnes des Himmlischen Kaisers mit einer Bärin hervorgegangen sein. Das Gründungsjahr Chosŏns, des »Landes der Morgenstille«, wie Korea zuzeiten genannt wurde, setzt die Tradition auf 2333 v. Chr. fest. Himmlische Herkunft und Bärenkult sind Elemente, die Verbindungen zum nordeurasisch-sibirischen Kulturgürtel wie auch zu den japanischen Gründungsmythen knüpfen. Sie suchen die in grauer Vorzeit liegenden Anfänge der koreanischen Geschichte zu erhellen, die bis heute Archäologen und Historikern schier unlösbare Rätsel aufgeben.Die Frühgeschichte KoreasErst in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts förderten archäologische Ausgrabungen in Nord- und Südkorea erste Überreste altsteinzeitlicher Siedlungen zutage. Im Norden waren es ein paar Muschelhaufen in dem an der Meeresküste gelegenen Ort Kulp'ori (Provinz Nord-Hamgyong), in denen 1963 primitives Steinwerkzeug gefunden wurde. In Sokchangni (Provinz Süd-Ch'ungch'ong), am Ufer des Kum gelegen, wurden 1964 zum ersten Mal verschiedene Typen altsteinzeitlicher Instrumente ausgegraben. Seitdem folgten weitere Ausgrabungen, die den Beweis dafür geben, dass die gesamte koreanische Halbinsel während der Altsteinzeit besiedelt war. Allerdings ist noch immer nicht sicher, zu welchem Menschentyp die frühesten Bewohner Koreas, die in kleinen Familienverbänden meist in Höhlen lebten und sich von Jagen und Fischen ernährten, gehörten.Obschon neuere Funde menschliche Existenz auch für die Mittelsteinzeit zu belegen scheinen, ist eine glaubwürdige Datierung erst für die neolithische, die jungsteinzeitliche Periode möglich. Zwischen 6000 und 4000 v. Chr. scheint eine neue, von der altsteinzeitlichen Bevölkerung deutlich zu unterscheidende Bevölkerung in die Halbinsel eingewandert zu sein. Woher sie kam, ist immer noch ungeklärt. Allerdings darf man annehmen, dass sie in verschiedenen Schüben aus dem Norden einwanderte und sich an Flussufern und in Küstengebieten ansiedelte. Die Zeittafel dieser Periode wird meist aufgrund der verschiedenen Keramiktypen, die in den geschichteten Überresten von Wohnsiedlungen gefunden wurden, festgelegt. Typisch für die mittlere Periode (um 4000 v. Chr.) ist die Kammkeramik: In den noch weichen Ton wurde ein kammartiges Muster eingepresst. Ein eindrückliches Zeugnis aus dieser Zeit bietet die Anlage einer neolithischen Siedlung in Amsa-dong (heute zu Seoul), die vor einigen Jahren als Museum eingerichtet wurde. Sie zeigt ungefähr einen halben Meter in den Erdboden versenkte, um Feuerstellen angeordnete Wohnstätten und Spuren von Holzpfeilern, die vermutlich Dächer aus Gras und Ried zu stützen hatten. Jede Wohnstatt dürfte eine Familie beherbergt haben. Spezielle Werkzeuge deuten darauf hin, dass gegen Ende der jungsteinzeitlichen Periode bereits Ackerbau getrieben wurde.Um 1000 v. Chr.: Gewaltige Veränderungen auf der koreanischen HalbinselBodenarchäologie wie schriftliche Dokumente bezeugen, dass sich um 1000 v. Chr. gewaltige Veränderungen auf der Halbinsel vollzogen: Koreas neolithische Bevölkerung wurde durch neu aus dem Norden zuwandernde Völkerschaften verdrängt oder aufgesogen. Diese Zuwanderer, deren ursprüngliche Heimat Nordostasien gewesen sein dürfte, gehörten ethnisch zu den Tunguiden, sprachen eine der altaischen Sprachfamilie zuzuordnende Sprache und führten eine Megalithkultur ein, die auch bereits die Bronzeherstellung beherrschte. Aus Bronze wurden vor allem Prestigeobjekte gefertigt und nicht, wie etwa im bronzezeitlichen Europa, Ackerbaugeräte. Herstellungstechnik und Stil dieser Bronzen sind eigenständig und weisen keinerlei Verwandtschaft zu den hervorragenden chinesischen Bronzeerzeugnissen der Shangzeit (2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.) auf. Sie sind im Gegenteil eher der Bronzekultur des mandschurischen Raumes zuzurechnen. Der Besitz von Bronze dürfte zu einer gewissen gesellschaftlichen Schichtung geführt haben. Eindrückliche Zeugen dieser Kultur sind die über die Mandschurei und die ganze Halbinsel verstreuten Dolmengräber. Die Zuwanderer aus dem Norden, in den zeitgenössischen chinesischen Quellen als »östliche Barbaren« (dongyi) bezeichnet, dürfen somit als die Vorfahren der heutigen Koreaner betrachtet werden. Sie siedelten sich an Uferböschungen an und ernährten sich durch Jagen und Fischen, betrieben aber auch Landwirtschaft. Um 700 v. Chr. ist der Beginn des Reisanbaus auf der Halbinsel anzusetzen.Es bleibt bezeichnend für die gesamte »formative« Periode der koreanischen Geschichte, in der Korea allmählich Gestalt annahm, dass der Zustrom von Menschen und neuen kulturellen Impulsen in die koreanische Halbinsel aus dem Norden kam. Diese Nord-Süd-Bewegung war besonders dann aktiv, wenn politische Umwälzungen in Nordchina Völkerwanderungen nach Osten auslösten. Mit jedem Flüchtlingsstrom gelangten neue materielle Errungenschaften in die Halbinsel, was den Flüchtlingen meist eine politische Vorrangstellung über die Einheimischen sicherte.Erste StaatsgründungenUm 500/400 v. Chr. entstand im Mündungsgebiet des Taedong, in der Gegend der heutigen nordkoreanischen Hauptstadt P'yŏngyang, Alt-Chosŏn. Die Chronologie dieses ersten politischen Gebildes auf koreanischem Boden ist immer noch umstritten, weil sich die archäologischen Funde nicht leicht mit den Daten schriftlicher Quellen in Übereinstimmung bringen lassen. Alt-Chosŏn soll im Lauf des 4. Jahrhunderts v. Chr. von Kija-Chosŏn, dem Reich Kijas, abgelöst worden sein. Kijas Existenz ist jedoch nicht gesichert. Unter den koreanischen Historikern lehnen die einen Kija als unhistorisch gänzlich ab, die anderen versuchen, seine Existenz mittels chinesischer Quellen zu belegen. Klarer sind die Auskünfte chinesischer Geschichtsschreibung über den Nachfolger Kijas, Wiman. Er soll zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. aus dem nördlichen chinesischen Staat Yan mit einer Schar von Gefolgsleuten nach Nordkorea eingewandert sein und sich im Reich Kijas zum neuen Herrscher erhoben haben; sein Reich, Wiman-Chosŏn, bildet die letzte Phase des altkoreanischen »Protostaates«.Chinesische Präsenz auf der HalbinselWer auch immer in ihm die Macht ausübte, sicher ist nur, dass der koreanische Protostaat am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. bereits eine solche Bedrohung für die Ostflanke des chinesischen Hanreiches darstellte, dass sich die Chinesen gezwungen sahen, die nördliche Hälfte der Halbinsel zu unterwerfen und dieses Gebiet durch vier Militärkommandanturen (Lelang, Xuantu, Lintun, Zhenfan) zu befrieden — ein Unternehmen, das sich freilich bald als zu ehrgeizig erwies und zurückgesteckt werden musste. Nur die Kommandantur von Lelang (koreanisch Nangnang), im ursprünglichen Gebiet von Alt-Chosŏn gelegen, blieb lebensfähig und bestand bis zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. Als blühendes Handelszentrum chinesischer Erzeugnisse unterhielt Lelang Beziehungen mit allen Teilen Koreas und selbst mit Japan. Im 20. Jahrhundert entdeckten Archäologen in der Nähe von P'yoŏngyang Hunderte von Gräbern, die eindeutig chinesischer Bauart sind und Lackarbeiten, Jadeschmuck, Stoffreste und Metallgegenstände enthielten. Außerdem wurden auch Häuserfundamente und Abwasserkanäle zutage gefördert. Es kann somit kein Zweifel darüber bestehen, dass die chinesischen Kolonialisten ihren eigenen Lebensstil beibehielten und zugleich wichtige kulturelle Impulse in die übrigen Gebiete der koreanischen Halbinsel sandten.Während Altkorea somit durch gezielte, militärisch gestützte Außenpolitik des Hanreiches ein Ende fand, entstand außerhalb der koreanischen Halbinsel, im Flusstal des Sungari in der nördlichen Mandschurei, Puyŏ (chinesisch Fuyu). Von koreanischen Historikern als zweiter koreanischer »Staat« bezeichnet, dessen ethnischer Ursprung jedoch noch nicht abgeklärt ist, scheint Puyŏ eher eine lose Konföderation als ein integriertes Königreich gewesen zu sein. Allerdings entsandte, wie chinesische Quellen berichten, der »König« von Puyŏ um 49 n. Chr. eine Gesandtschaft nach China. Die Chinesen sahen im tributfreudigen Puyŏ einen strategischen Alliierten, der die unberechenbaren Xianbei-Nomaden aus dem Norden in Schach halten konnte. Als jedoch die Macht der Handynastie gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. zu zerfallen begann, geriet Puyŏ zunehmend unter den Druck der Xianbei im Norden und des aufstrebenden koreanischen Staates Koguryŏ im Süden, sodass die Führungsschicht die Flucht ergriff. Erst 494 sollte sich das Herrscherhaus dem König von Koguryŏ ergeben.Aufstieg zum Königreich: KoguryŏDie chinesische Militärpräsenz in Nordkorea wirkte herausfordernd auf kriegstüchtige Stammeseinheiten im gebirgigen Norden und regte zu politischem Zusammenschluss und räuberischer Expansion an. Das ursprüngliche Herzland des späteren Staates Koguryŏ lag am Mittellauf des Yalu und bestand aus mehreren befestigten Siedlungen solcher Stammeseinheiten, deren Anführer sich im Verlauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. unter der Vorherrschaft Koguryŏs zusammenzuschließen begannen. Zentrum dieser Konföderation wurde das auf heutigem chinesischem Territorium liegende Hwando (auch Kungnaesŏng, heute Tonggou). Die Integration Koguryŏs verdankte Entscheidendes dem politischen Können der Immigranten aus Puyŏ, die sich dem mit ihnen verwandten Herrscherhaus von Koguryŏ anschlossen.Im Lauf des 2. Jahrhunderts n. Chr. intensivierten sich die Eroberungszüge, die Koguryŏ bereits jetzt zu einer gefürchteten Militärmacht werden ließen. Zielgebiete waren die fruchtbare Ebene des Liao im Westen, die Südmandschurei im Norden und die nördliche Hälfte der koreanischen Halbinsel im Süden. Wiederholte Angriffe auf chinesische Stellungen auf der Halbinsel Liaodong isolierten die Kommandantur von Lelang immer mehr. Nachlassende chinesische Wachsamkeit seit der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. führte schließlich 313 zur Eroberung und Zerstörung Lelangs.Zu einem Königreich erstarkte Koguryŏ, das traditionell in die Zeit von 37 v. Chr. bis 668 n. Chr. datiert wird, allerdings erst in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts unter König Sosurim (371—384), der seinem Reich eine nach chinesischem Muster bestimmte gesetzliche Ordnung gab und gleichzeitig buddhistische Mönche wie konfuzianisches Schrifttum an seinem Hof akzeptierte. Während Sosurim somit die Zentralisierung Koguryŏs vorantrieb, machte sich König Kwanggaet'o (391—413) einen Namen als Eroberer. Seine Taten sind aufgezeichnet auf der Grabstele, die 414 zu seiner Erinnerung errichtet wurde und noch heute in Tonggou zu besichtigen ist. Demnach bekämpfte er im Norden nomadische Stämme, im Nordwesten eroberte er die Liaodonghalbinsel, nach Süden entsandte er eine Flotte gegen das aufstrebende koreanische Reich Paekche, und an der Südküste der Halbinsel besiegte er eine von Japan ausgerüstete Streitmacht des Volks der Wa. Auf seinen Feldzügen soll er Hunderte von Dörfern und befestigten Siedlungen zerstört haben. Sein Sohn Changsu, 413 bis 491 König, führte während seiner langen Regierungsperiode das Eroberungswerk des Vaters zu Ende. Unter seiner Aufsicht wurde die Hauptstadt Koguryŏs 427 aus der gebirgigen Enge Nordkoreas in das fruchtbare Tal des Taedong nach P'yŏngyang verlegt — ein gewichtiger Schritt, der Koguryŏs Vormachtstellung auf der koreanischen Halbinsel konsolidierte.Die »Drei Han« im SüdenChinas Kolonialherrschaft in Nordkorea blieb aber auch für die südliche Hälfte der Halbinsel nicht ohne Auswirkungen. Wiederum waren es Flüchtlinge aus dem Norden, die dem rückständigen Süden Entwicklungsimpulse brachten. Im Lauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstanden in dem südlich des Han gelegenen, als Chin-guk bekannten Gebiet die drei losen Stammesverbände der »Drei Han« (koreanisch Samhan): Mahan im Südwesten, Pyŏnhan im Tal des Naktong und Chinhan im Südosten. Während die chinesischen Kolonialherren im Norden immer wieder versuchten, die politische Integration der Drei Han zu verhindern, entstanden während des 3. und 4. Jahrhunderts drei politische Einheiten, und zwar im Gebiet von Mahan: Paekche; in Pyŏnhan: die Kaya-Konföderation; in Chinhan: Silla.Ein weiteres Königreich entsteht: PaekcheNach der Tradition soll die »Gründung« von Paekche im Jahr 18 v. Chr. stattgefunden haben, doch gibt es über die ersten zweihundert Jahre von Paekches Entwicklung keinerlei verlässliche Angaben. Es wird heute angenommen, dass Zuwanderer aus dem nördlichen Puyŏ eine führende Rolle spielten und schließlich auch das Königshaus begründeten. Um die Mitte des 3. Jahrhunderts unter König Koi (234—286) soll Paekche bereits eine für die Chinesen bedrohliche Macht gewesen sein. Erst unter König Kŭnch'ogo (346—375) erstarkte Paekche jedoch zu einem Königreich mit einer zentralen Regierung in der Hauptstadt Hansong (südöstlicher Teil des heutigen Seoul) am Han. Kŭnch'ogo unterwarf das ganze Gebiet von Mahan und nahm Seeverbindungen zu Südchina und Japan auf. Er sorgte aber auch für eine geregelte Thronfolge und ließ die erste (heute nicht mehr vorhandene) Hofchronik schreiben.Bereits am Ende des 4. Jahrhunderts geriet Paekche unter den Druck der Armeen Koguryŏs. Als Koguryŏs Hauptstadt 427 nach P'yŏngyang verlegt wurde, sah sich Paekche gezwungen, sich erst mit Japan und wenig später, im Jahr 433, mit dem im Osten aufstrebenden Reich Silla zu verbünden. Das Paekche-Silla-Bündnis war jedoch zu schwach, um 475 eine erneute Offensive Koguryŏs aufzuhalten. Paekches Hauptstadt wurde eingenommen und der König umgebracht. Somit verlor Paekche sein Kernland. Eine neue Hauptstadt entstand etwa 120 Kilometer weiter südlich in Ungjin (heute Kongju), das am Kum gelegen und von Bergen gut geschützt war.Die Verlegung seiner Hauptstadt brachte Paekche keinen dauernden Frieden. Konflikte am königlichen Hof schwächten das Land von innen, während die Bedrohung von Norden anhielt. Erst zu Beginn des 6. Jahrhunderts erstarkte Paekche nochmals unter der Führung König Muryŏngs (501—523), der siegreich gegen Koguryŏ vorging, neue Verbindungen mit China anknüpfte und selbst die Südostgrenze des Reiches weiter nach Osten vorzuschieben versuchte, was ihn allerdings bald in Konflikt mit Silla brachte.König Muryŏng hat vor einigen Jahren nochmals Schlagzeilen gemacht, als in der Nähe von Kongju sein Grab entdeckt und ausgegraben wurde. Vermutlich schon zu Muryŏngs Lebzeiten erbaut, weicht die Bauart deutlich von früheren Grabstätten Paekches ab. Anstelle einer pyramidenähnlichen Konstruktion aus Steinquadern (wie sie auch in Koguryŏ üblich war) wurde der Grabinnenraum aus mit Lotusblüten geschmückten Ziegeln geschichtet. Offensichtlich diente hier die kaiserlich-chinesische Grabkultur als Muster, nicht nur, um Muryŏngs Legitimität als Herrscher eines zentralisierten Paekche, sondern auch seine internationalen Verbindungen zu China zu unterstreichen. Buddhistische Motive weisen ferner auf die tiefe Gläubigkeit des Herrscherhauses hin.Paekche konnte sich freilich nicht lange in Ungjin behaupten, musste es doch bereits 538 die Hauptstadt nochmals nach dem südlicher gelegenen Sabi (dem heutigen Puyŏ) verlegen. Wenig später suchte es erneut durch eine Militärallianz mit Silla seine früheren Gebiete im Tal des Han zurückzuerobern. Sobald jedoch der Feldzug erfolgreich abgeschlossen war, brach Silla das Bündnis, verleibte sich die neu gewonnenen Gebiete ein und zwang Paekche, sich mit seinem ehemaligen Erzfeind Koguryŏ zu verständigen.Die »Sechs Staaten« von KayaWährend Paekche seine Herrschaft über das Gebiet von Mahan zu sichern trachtete, entstanden im Lauf des 3. und zu Beginn des 4. Jahrhunderts im Bereich von Pyŏnhan die »Sechs Staaten« von Kaya, die Kaya-Föderation. Wenig ist über sie bekannt, da schriftliche Quellen spärlich sind und die archäologische Erforschung sich erst in den letzten 20 Jahren für Kaya zu interessieren begann. Sicher scheint nur die Lage von zwei »Staaten« zu sein: Pon-Kaya im Deltagebiet und Tae-Kaya am Oberlauf des Naktong. Vor allem Pon-Kaya scheint ein strategisch wichtiger Umschlagplatz für den Handel zwischen Lelang und Japan gewesen zu sein. In frühen japanischen Quellen wird Pon-Kaya als Mimana bezeichnet und als festländischer Brückenkopf des aufstrebenden Yamato, des historischen Kernlandes von Japan, dargestellt. Obschon eine feste, länger dauernde japanische Präsenz heute bezweifelt wird, unterhielt Kaya enge Verbindungen zu den Wa, die als Piraten und Händler von Kyūshū aus zwischen Korea, China und dem japanischen Archipel aktiv waren und auch als Verbündete Paekches zuweilen für das frühe Silla eine Gefahr darstellten.Durch die rasch wechselnde politische Konstellation auf der koreanischen Halbinsel scheinen die Kaya-Staaten, eingezwängt zwischen Paekche und Silla, die sich bald bekämpften, bald verbündeten, keine Chance gehabt zu haben, sich zu einem lebensfähigen Königreich zu entwickeln. Da Koguryŏ seine Macht immer stärker nach Süden geltend machte und Paekche zum Rückzug zwang, drängte dieses nach Osten und bedrohte Kaya. Pon-Kaya ergab sich schließlich 532 Silla, während Tae-Kaya nochmals versuchte, sich mit Paekche und den Wa gegen Silla zu verbünden. Diesem Bündnis war allerdings kein Erfolg beschieden, und Tae-Kaya erlag 562 Sillas Übermacht. Auch wenn Kayas politische Phase kurzlebig war, sein kultureller Einfluss auf Silla war bedeutend. Aus seiner Oberschicht, die der Aristokratie Sillas angegliedert wurde, gingen Persönlichkeiten hervor, die sich um die Vereinigung der Halbinsel unter Sillas Führung große Verdienste erwarben.Entwicklung und Aufstieg SillasDie geschichtlichen Quellen sind für Silla, das um die Mitte des 7. Jahrhunderts die koreanische Halbinsel zum ersten Mal unter seiner Herrschaft vereinte, am ausgiebigsten und aussagekräftigsten. Auch die archäologische Forschung hat sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die Ebene von Kyŏngju, der ehemaligen Hauptstadt von Silla im Südosten Südkoreas, konzentriert, sodass Tausende von Funden die Geschichte Sillas erhellen und illustrieren.Nach der Legende nahm Silla seinen Anfang im Jahr 57 v. Chr., in dem Hyŏkkŏse als erster Herrscher den Thron bestiegen haben soll. Die Chronologie der frühen Herrscher von Silla ist immer noch nicht völlig enträtselt. Die Herrschaft soll zwischen drei Familien, den Pak, Kim und Sok, gewechselt haben. Archäologische Untersuchungen haben die Überreste der sechs ursprünglichen Dorfgemeinschaften sichergestellt, aus denen Saro (oder Saro-guk), die erste politische Einheit Sillas in der Ebene von Kyŏngju, hervorgegangen zu sein scheint. Hyŏkkŏse könnte demnach der erste »König« Saros gewesen sein. Die frühen Herrscher trugen Titel, die offenbar auch auf eine sakrale Funktion hinweisen.Auf dem Gebiet des späteren Silla gab es mehrere politische Einheiten wie Saro. Sie schlossen sich erst allmählich, spätestens aber in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, unter Führung König Naemuls (356—402) zu einer losen Konföderation zusammen. Von Naemul an monopolisierten die Kim die königliche Linie, und der Herrscher wurde mit dem neuen Titel »maripkan« bezeichnet, der wohl so viel wie »der Erhöhte« bedeutet. Mit Naemuls Thronbesteigung bricht die Zeit der Drei Königreiche an — eine Zeit intensiver politischer und gesellschaftlicher Entwicklung, internationalen Austausches und kultureller Entfaltung.Die politische Integration Sillas vollzog sich vergleichsweise spät. Einerseits war sein Gebiet in der südöstlichen Ecke der Halbinsel geographisch abgeschieden, andererseits kämpften Koguryŏ und Paekche um die Vorherrschaft und suchten das Emporkommen einer dritten Macht zu verhindern. Das Königshaus von Silla konnte sich nur allmählich gegen äußere Einflüsse behaupten. Eindrückliches Zeichen eines solchen Erstarkens war der Bau von monumentalen Königsgräbern, die noch heute die Landschaft Kyŏngjus beherrschen. Ferner wurde zu Beginn des 6. Jahrhunderts der Herrschertitel »maripkan« in den prestigeträchtigeren chinesischen Titel »wang«, König, abgeändert und Silla als Reichsname gewählt.Silla als KönigreichMit der Thronbesteigung König Pŏphŭngs (514—540) bricht für Silla die Zeit des zentralisierten Staates an. Pŏphŭng führte einige wohl von chinesischen Vorbildern hergeleitete Gesetze ein, die vor allem als Grundlage für ein geregeltes Beamtentum gedient haben dürften. Er errichtete auch ein Militäramt, das später Sillas Eroberungsfeldzüge organisierte. Selbstbewusst suchte Pŏphŭng ferner diplomatische Verbindungen zu Südchina anzuknüpfen. Von weitaus größter Bedeutung für die Entwicklung des Staates war allerdings die Einführung des Buddhismus am Hof von Silla. Der neue Glaube trug Wesentliches zur Festigung des Herrscherhauses bei, denn die Entscheidungsmacht des Königs war traditionsgemäß durch das Mitspracherecht einer starken Aristokratie entscheidend eingeschränkt. Pŏphŭng (»Stütze des Dharma«) bemühte sich, der neuen Religion einen Tempel zu errichten, doch stellten sich die Aristokraten aus machtpolitischen Gründen dagegen. Die Intrigen fanden ihren Höhepunkt in der Hinrichtung des königlichen Beauftragten für den Tempelbau. Als diesem der Kopf abgeschlagen wurde, soll ein Strahl weißen Blutes aus seinem Körper geschossen sein — ein Wunder, das dem neuen Glauben zum Durchbruch verhalf. Wenige Jahre später, um 535, wurde der Buddhismus zur Staatsreligion erklärt.Fortan gefiel sich der König in der Rolle des Buddha-Vairocana, des Weltenherrschers, dem der Schutz des Staates anbefohlen war, während den Aristokraten die Stellung von »Bodhisattvas der Zukunft« (»Erleuchtungswesen«, die auf den Eintritt ins Nirvana verzichten, um zur Errettung aller Lebewesen wirken zu können) zugedacht wurde. Königliche Vorrechte fanden somit Verankerung in buddhistischen Vorstellungen. Ferner wurden Mönche für den Staatsdienst rekrutiert, die als Strategen wie als Wahrsager tätig waren. Religiös gedeutet wurde denn auch das starre, hierarchisch gegliederte Gesellschaftssystem Sillas, das Zutritt zum Beamtentum von Geburt und Herkunft abhängig machte. Somit wurden die politischen und gesellschaftlichen Privilegien der Aristokraten als Belohnung für gute Taten in einem früheren Leben gerechtfertigt.Pŏphŭngs Nachfolger Chinhŭng (540—576) trieb Sillas Expansion kräftig voran. 551 verband er sich mit Paekche (zweite Silla-Paekche-Allianz), um die von Koguryŏ besetzten ehemaligen Gebiete von Paekche im Hantal wiederzugewinnen. Zwei Jahre nach dieser erfolgreichen Kampagne überwältigten jedoch seine Truppen in einem Überraschungsangriff die im zurückeroberten Gebiet stationierte Armee von Paekche. Damit eröffnete sich Silla einen strategisch wichtigen Korridor zum Gelben Meer und eine direkte Verbindung zu China. Von 564 an entsandte Silla fast jährlich Gesandtschaften nach Nord- und Südchina.Silla richtete jedoch auch gezielte Angriffe gegen die Kaya-Staaten und machte sich 562 Tae-Kaya untertan. Mit der Errichtung eines Stützpunktes westlich des Naktong schuf sich Silla eine günstige Ausgangsposition für seine späteren Feldzüge gegen Paekche. Im Norden drangen Sillas Armeen bis in die heutige Provinz Hamgyong vor. An strategisch wichtigen Punkten wurden Gedenktafeln errichtet, die an die Siege Sillas erinnern. Sillas Erfolge waren nicht nur guter Truppenführung unter fähigen Kommandanten zu verdanken, sondern auch kluger Verwaltung: Sobald ein Gebiet unterworfen war, wurde es einer Lokalverwaltung unterstellt, die dessen Eingliederung ins Sillareich voranzutreiben hatte.Königinnen — Blick auf die innere Entwicklung SillasSillas Expansion auf Kosten Paekches im Westen und Koguryŏs im Norden blieb freilich nicht unangefochten. Koguryŏ bekam gegen Ende des 6. Jahrhunderts wiederum den Druck eines (unter der Suidynastie) vereinten China zu spüren, was eine Sicherung seines Territoriums auf der Halbinsel umso dringender machte. Paekche seinerseits gab die Hoffnung, die an Silla verloren gegangenen Gebiete zurückzuerobern, nicht auf. Der Druck von außen stärkte die Stellung des Herrschers von Silla gegenüber der Aristokratie, und es scheint nur dank dieses erhöhten königlichen Selbstbewusstseins möglich geworden zu sein, dass um die Mitte des 7. Jahrhunderts, als die männliche Linie ausstarb, eine Prinzessin den Thron bestieg. Königin Sŏdŏks Regierung (632—647) fiel in eine Zeit, als sich Silla von Koguryŏ und Paekche schwer bedrängt sah und schließlich das chinesische Tangreich um Beistand bat. Die Chinesen nahmen jedoch Anstoß an einem weiblichen Throninhaber und verlangten, Königin Sŏdŏk durch einen chinesischen Prinzen zu ersetzen. Dieser Einmischung, von opportunistischen Aristokraten Sillas unterstützt, wurde jedoch nicht stattgegeben, und Sŏdŏks Nachfolgerin wurde Königin Chindok (647—654). Diese nochmalige weibliche Thronfolge wurde von Kim Ch'un-ch'u, einem Aristokraten aus Silla, und seinen Gefolgsleuten unterstützt. Nach Chindoks frühem Tod bestieg Kim Ch'un-ch'u selbst den Thron. Der Nachwelt als König Muyol (654—661) bekannt, begründete er eine neue, aristokratische Königslinie, aus der bis ins späte 8. Jahrhundert Sillas Könige hervorgingen.Die Vereinigung der Halbinsel unter SillaAm Ende des 6. Jahrhunderts veränderte sich die internationale Situation in Nordostasien grundlegend durch die Wiedervereinigung Chinas unter der Herrschaft der Sui (581/589—618). Koguryŏs erneuter Angriff auf die Halbinsel Liaodong im Jahr 598 blieb deshalb nicht unbestraft. Sui rüstete sich zur Gegenoffensive, die allerdings erst 612 bedrohlich wurde. Koguryŏs Truppen standen unter der Führung des gewieften Kriegsherrn ŭlchi Mundŏk, der den Chinesen nicht nur 612, sondern auch in den zwei folgenden Jahren entscheidende Niederlagen zufügte. In der Tat scheinen die erfolglosen Expeditionen gegen Koguryŏ das Reich der Sui so geschwächt zu haben, dass sie den Zusammenbruch des Regimes beschleunigten. Unter Suis Nachfolger, der Tangdynastie (618—907), erlebte China die größte militärische Expansion in seiner Geschichte, und dies hatte auch Auswirkungen auf Korea.645 rüstete sich der chinesische Kaiser Taizong (626—649) für eine Offensive gegen Koguryŏ, das sich geweigert hatte, friedliche Beziehungen zum Tangreich aufzunehmen. Wiederum blieb der Versuch, Koguryŏs Widerstand zu brechen, erfolglos. 647 und 648 scheiterten zwei weitere Angriffe. Dass Koguryŏ damals militärisch stark genug war, um die chinesischen Angriffe abzuwehren, ist von größter geschichtlicher Bedeutung. Wäre es den Chinesen gelungen, Koguryŏ zu zerstören, wäre ihnen zweifellos die ganze koreanische Halbinsel in die Hände gefallen.Während Koguryŏ China in Schach hielt, wandte sich Paekche erfolgreich gegen Silla, das sich gezwungen sah, seine Westgrenze an den Naktong zurückzuverlegen. Als Hilfe von Koguryŏ ausblieb, wandte sich Silla, wie bereits erwähnt, an das chinesische Tangreich, das sich schließlich zu einem gemeinsamen Angriff gegen Paekche bereit erklärte. Eine chinesische Flotte stieß von Westen vor, während eine Armee Sillas von Osten her Paekche überrannte. Diesem doppelten Angriff hielt Paekche nicht stand, und seine Hauptstadt Sabi wurde 663 von den Alliierten dem Erdboden gleichgemacht.Nach der Niederlage Paekches wandten sich die Verbündeten gegen Koguryŏ, das anfänglich noch immer erfolgreich Widerstand leistete. Als allerdings interne Wirren Koguryŏs Führung schwächten, blieb der Sieg für Silla und China nicht aus. 668 musste sich Koguryŏ der Übermacht ergeben.Somit wäre die koreanische Halbinsel unter Sillas Führung vereint gewesen, wenn sich China nicht als gefährlicher Bündnispartner erwiesen hätte. Ihm war weniger daran gelegen, das Kriegsglück zugunsten seines koreanischen Verbündeten zu wenden als sich selbst strategisch wichtige Gebiete einzuverleiben. Es war deshalb ein epochales Ereignis, als das kaum erstarkte Silla 676 dem arroganten Tangreich eine entscheidende Niederlage zufügte — diese Schmach bleibt in den chinesischen Geschichtsbüchern unerwähnt — und dadurch die koreanische Halbinsel dem militärischen Zugriff Chinas entzog. Dieser Sieg war die schlussendliche Bestätigung der Alleinherrschaft Sillas über die ganze koreanische Halbinsel. Mehr noch: Unter dem Vereinten Silla (668—935) ist Korea eigentlich recht entstanden. Zum ersten Mal war territoriale Integration erreicht, vermischten sich verschiedenartige Völker zu ethnischer Einheit, verschmolzen diverse regionale Traditionen zu einer koreanischen Kultur und erlangte die Sprache Sillas die Bedeutung der Landessprache. Kurz: Es erwachte ein koreanisches Selbstbewusstsein, das die Identität des jungen Staates nach innen und außen erstarken ließ.Prof. Dr. Martina Deuchler
Universal-Lexikon. 2012.